In Deutschland wird gern und oft über die Rente gestritten, doch das Sozialsystem, das aktuell vor allem ins Schlingern gerät, ist das der gesetzlichen Krankenkassen.
Dabei sind die Krankenkassen das eigentliche Solidarsystem. Wer mehr verdient, bezahlt höhere Beiträge, aber alle bekommen die gleiche Leistung. Die Rente hingegen funktioniert in Deutschland nach dem Äquivalenzprinzip: Wer viel eingezahlt hat, bekommt mehr Rente, wer wenig einzahlt, bekommt nur eine Mini-Rente.
Geld fehlt dem Krankenkassensystem aktuell an allen Ecken und Enden. Zehn Milliarden Euro betrug das Defizit aller Kassen allein 2024. Schon die Kosten für die Krankenhäuser stiegen um acht Milliarden auf 101 Milliarden Euro, die für Medikamente um fünf Milliarden Euro.
Auch deshalb werden immer neue Finanzierungsideen diskutiert. Aktuell eine spannende Variante: Lasst uns doch einfach auch mal die Besserverdiener zur Kasse bitten.
Mehr Beiträge von Besserverdienenden
Die Idee ist recht einfach umzusetzen. Angestellte müssen Pflichtbeiträge von ihrem Einkommen für die gesetzliche Rente und für die Krankenkassen und Pflegeversicherung entrichten. Bei der Rente zahlen sie allerdings Beiträge für die ersten 8050 Euro ihres Bruttoeinkommens. Das ist die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze. Für Einkommen, das darüber hinausgeht, müssen keine Beiträge mehr gezahlt werden.
In der Krankenversicherung (und der Pflegeversicherung) liegt die Beitragsbemessungsgrenze hingegen nur bei 5512 Euro. Nur bis zu diesem Bruttoeinkommen müssen Krankenkassenbeiträge gezahlt werden. Jeder Euro darüber hinaus ist frei von solchen Belastungen. Zumindest bisher.
Die Linkspartei hat per Antrag im Bundestag gefordert, diese Beitragsbemessungsgrenze auf 15.000 Euro im Monat anzuheben und damit die Krankenkassenkosten von Topverdienern zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen.
Am vergangenen Wochenende hat auch Christos Pantazis, Arzt aus Braunschweig und als SPD-Gesundheitspolitiker im Bundestag Teil der Schwarz-Roten Koalition, Sympathien für eine Erhöhung erkennen lassen und vorgeschlagen, die beiden Beitragsbemessungsgrenzen anzugleichen. Wieso sollten Besserverdiener nicht auch Krankenkassenbeiträge für die ersten 8050 Euro zahlen? Das würde die Kassen jedenfalls ordentlich entlasten.
Allerdings müsste die Koalition dann noch ein heißes Eisen anfassen: die Versicherungspflichtgrenze. Denn derzeit können Angestellte, die mehr als 73.800 Euro im Jahr verdienen, in die private Krankenversicherung wechseln. Das sind auf zwölf Monatsgehälter gerechnet 6150 Euro im Monat. Wenn diese Grenze nicht steigt, durch eine höhere Beitragsbemessungsgrenze aber die gesetzliche Krankenversicherung deutlich teurer wird, könnten viele Menschen mit einem Gehalt zwischen 6150 und 8050 Euro im Monat über einen Wechsel nachdenken.
Wenige zahlen deutlich mehr
Politisch ist das aus der Sicht der Sozialdemokraten eine smarte Idee. Denn für die große Mehrheit derjenigen, die in die Krankenkassen einzahlen, ändert sich nichts. Über 50 Millionen Kassenmitglieder müssten bei dieser Art von Veränderung keinen Cent zusätzlich zahlen, und den klammen Krankenkassen wäre dennoch geholfen. Nebeneffekt: Auch der SPD-Finanzminister wird so nicht noch einmal zur Kasse gebeten.
Gerade der großen Mehrheit der 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner könnte das sehr gefallen. Die 17,6 Millionen Mitglieder in der Krankenversicherung der Rentner haben unter den prozentualen Beitragserhöhungen der Kassen für alle Mitglieder zuletzt sehr gelitten.
Dafür würden die betroffenen Besserverdienenden aber ordentlich zur Kasse gebeten. Bei einem Einkommen von 8000 Euro brutto müsste ein Kassenmitglied jeden Monat 250 Euro mehr für die Krankenkasse und die daran hängende Pflegeversicherung zahlen. Vom Arbeitgeber würde noch mal die gleiche Summe zusätzlich verlangt.
Gutverdienende Selbstständige müssten die ganzen 500 Euro zusätzlich allein aufbringen. Beamte sind nicht betroffen, denn sie sind zumeist privat krankenversichert. Auch dort steigen die Beiträge im Augenblick zwar ordentlich, aber dieser Kelch für Besserverdienende würde am Studienrat vorübergehen.
CDU will Besserverdienende schonen
Der CDU geht so viel erzwungene Solidarität zu weit. Ihr gesundheitspolitischer Sprecher, der Landwirt Albert Stegemann aus dem Emsland, nennt die Beitragsidee der Sozialdemokraten abwegig und leistungsfeindlich. Stegemann will stattdessen »Effizienzgewinne« im System heben. Man kommt nicht umhin, an die über 90 Krankenkassen zu denken, mit all ihren Führungskräften. Tatsächlich kostet die Verwaltung der Krankenkassen rund 12,5 Milliarden Euro, fast 90 Prozent davon sind Personalkosten.
Auf Nachfrage erklärt Stegemanns Büro, durch eine herausgehobene Rolle der Hausärzte könnte die jährliche Zahl der Arztbesuche mehr als halbiert werden, wie in der Schweiz. Statt in die teure Notaufnahme sollten die Kranken in Deutschland häufiger zum Facharzt gehen, und medizinische Leistungen öfter ambulant erbracht werden.
Das setzt aber eine Reform der Versorgungsstruktur voraus, mit dem Hausarzt als Primärarzt. Schon heute fehlen nach Angaben der Bertelsmann Stiftung 5000 Hausärzte.
Fünf bis sechs Milliarden Euro wären drin
Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Idee des Abgeordneten Pantazis für eine höhere Beitragsbemessungsgrenze. Wie viel Geld käme denn so in die Kassen? Die Antwort ist nicht einfach. Der Gesamtverband der Krankenkassen mag sich jedenfalls nicht aus dem Fenster lehnen. Die Krankenkassen können zwar sagen, wie viele ihrer Mitglieder über der Beitragsbemessungsgrenze von 5512 Euro verdienen, denn die haben als sogenannte freiwillig Versicherte einen anderen rechtlichen Status und werden in einer anderen Spalte der Statistik geführt. Aber wer von den über sechs Millionen freiwillig versicherten Mitgliedern wie viel mehr verdient, das weiß der Kassenverband nicht.
Das Bundesgesundheitsministerium traut sich ein bisschen mehr zu. Mehr als die Hälfte der sechs Millionen Besserverdienenden im System bleibt danach unter 7000 Euro brutto monatlich. »Oberhalb von 6000 Euro dürften es noch circa 4,6 Millionen Mitglieder sein und oberhalb von 7000 Euro noch circa 2,8 Millionen«, so das Bundesgesundheitsministerium. Wenn man das rechnerisch überschlägt, wären fünf bis sechs Milliarden Euro Mehreinnahmen drin – allerdings nur, wenn die Besserverdienenden nicht stattdessen in die dann für sie preiswertere private Krankenversicherung flüchten würden.
Handlungsalternativen für Sie
Was heißt das für Sie und mich? Zunächst noch einmal gar nichts, denn es ist ja noch längst nicht beschlossen. Und wenn Sie unter 5500 Euro monatlich brutto verdienen oder privat versichert sind, können Ihnen die Pläne persönlich egal sein.
Sollten Sie aber zur Zielgruppe der besserverdienenden gesetzlich Versicherten gehören, ziehen Sie sich schon mal wärmer an. Die aktuellen Debatten im Bundestag liefern einen Vorgeschmack auf die Härte der kommenden Auseinandersetzungen.
Ihre beste Variante ist dabei natürlich, eine preiswerte Krankenkasse zu wählen. Das können Sie vor allem am Zusatzbeitrag festmachen. Wenn Sie dann zum Beispiel bei 7000 Euro beitragspflichtigem Bruttoeinkommen die preiswerteste Versicherung wie die HKK oder die BKK Firmus wählen, bezahlen Sie einen Zusatzbeitrag von rund 75 Euro im Monat. Bei einer teuren Versicherung wie der Knappschaft läge Ihr Zusatzbeitrag schon bei 155 Euro im Monat. Der Arbeitgeber zahlt jeweils noch mal das Gleiche.
Und natürlich können Sie den Weg zur privaten Krankenversicherung prüfen . Sinnvoll ist der aber nur, wenn Sie sicher auch im Alter das Geld für hohe Krankenversicherungsbeiträge haben. Im Gegensatz zum gesetzlichen Kassenmodell sinken nämlich die Beiträge in der privaten Krankenversicherung im Alter nicht.
Die Rechnung der Krankenkassen selbst
Mindestens einige der Krankenkassen haben ganz andere Ideen. Höhere Beiträge nach Pantazis seien »keine Lösung für das Finanzierungsproblem der GKV« und auch nicht geeignet, die Beitragsspirale zu stoppen, so die Techniker (TK). Die TK – mit vielen gut verdienenden Mitgliedern – schlägt stattdessen vor, den Pharmakonzernen bei neuen Medikamenten nicht mehr die geforderten hohen Preise zu bezahlen. Außerdem sollte die Mehrwertsteuer für Medikamente von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden, wie das auch in anderen EU-Ländern der Fall ist. Beides zusammen könne schon acht Milliarden Euro einbringen, schrieb mir die Kasse diese Woche. Allerdings müssten vor allem die Finanzminister von Bund und Ländern dann auf rund sechs Milliarden Euro an Mehrwertsteuereinnahmen verzichten.
Wer zahlt für Bürgergeldempfänger?
Wenn dann auch noch die Leistungen für die Bürgergeldempfänger komplett vom Staat übernommen würden, wie das die Krankenkassen seit Jahren fordern, könnten die Kassen nach eigenen Berechnungen 9,2 Milliarden Euro zusätzliche Leistungen sparen – Leistungen für Bürgergeldempfänger, die bisher von den staatlichen Beiträgen über Jobcenter und Arbeitsagentur nicht gedeckt würden.
Hier bewegen sich die Krankenkassen allerdings auf abschüssigem Terrain. Dem Vorwurf, der Staat würde für die armen Bürgergeldempfänger nicht genug zahlen, um die Kosten zu decken, könnte als Nächstes der Kassen-Vorwurf folgen, die Beiträge für die Rentnerinnen und Rentner reichten für die in dieser Altersgruppe hohen Gesundheitskosten bei Weitem nicht aus.
Das aber wäre dann aber kein Solidarsystem mehr.