Die deutsche Industrie verliert im Wettbewerb mit ihrer erstarkten Konkurrenz aus China an Boden. Die deutschen Exporte sind im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt um 1,7 Prozent auf rund 1,55 Billionen Euro gesunken. Die chinesischen Ausfuhren hingegen legten laut Zahlen aus Peking um 7,1 Prozent auf über drei Billionen Euro zu (25,4 Billionen Yuan), wie ein Vergleich der Handelsbilanzen zeigt.
Die Zahlen sind kein einmaliger Ausreißer. Die chinesische Regierung vermeldete im achten Jahr in Folge ein Exportwachstum, in Deutschland gab es bereits 2023 einen deutlichen Rückgang.
Gefährlich für die deutsche Industrie sind dabei nach Einschätzung von Ökonomen und Fachleuten die Preiskämpfe chinesischer Firmen auf ihrem Heimatmarkt und deren Überkapazitäten.
»Die chinesischen Wettbewerber haben immer weiter aufgeholt und sind zunehmend in Produktbereichen und Industriesegmenten aktiv, in denen die deutsche Industrie traditionell sehr gut aufgestellt war«, sagt Philipp Böing, Ökonom und Professor für Empirische Innovationsforschung mit Schwerpunkt China an der Goethe-Universität Frankfurt und dem ZEW Mannheim. Insbesondere in Bereichen der Digitalisierung und generativen künstlichen Intelligenz seien chinesische Firmen »teilweise schon über die technologische Leistungsfähigkeit deutscher Wettbewerber hinausgeklettert«.
Letztlich gehe es um einen Systemwettbewerb zwischen China und dem Westen, insbesondere den USA. Entscheidend sei, wer die besseren Technologien habe.
Chemie- und Autobranche besonders betroffen
In Deutschland sei die Industrieproduktion bereits seit zehn Jahren rückläufig, sagt Jens Burchardt, Industriefachmann und Partner bei der internationalen Unternehmensberatung BCG. Hauptursache sei die im internationalen Vergleich teure Energie.
Gefahr für die deutsche Industrie sieht Burchardt in erster Linie für energieintensive Branchen wie die Grundstoffchemie, an zweiter Stelle für den Automobilsektor. »Deutsche Hersteller werden nur dann ihre aktuelle Rolle erhalten können, wenn sie bei elektrischen Antrieben eine ähnlich große Rolle spielen wie traditionell bei Verbrennern.«
Erst dahinter, »aber trotzdem materiell«, sieht BCG eine Gefahr durch wachsende chinesische Konkurrenz für deutsche Unternehmen in Sektoren wie Maschinenbau und Elektroindustrie.
Wie sehr sich die Welt für die deutsche Wirtschaft verändert hat, zeigen etwa Zahlen der Hannover Messe, einer der weltweit wichtigsten Industrieschauen. Dort waren 2014 etwa 500 chinesische Aussteller vertreten, im vergangenen Jahr waren es 1145 Firmen aus der Volksrepublik.
Auch VW ist ein Indikator: Der Konzern lieferte 2018 weltweit noch 10,1 Millionen Pkw aus. Im vergangenen Jahr waren es 8,6 Millionen – ein Rückgang von fast 15 Prozent. Hauptursache war der Misserfolg in China: Dort lieferte der Wolfsburger Konzern fast 1,3 Millionen Pkw weniger aus als sechs Jahre zuvor, obwohl der chinesische Automarkt in der Zwischenzeit größer und nicht kleiner geworden ist. Die dortigen E-Auto-Hersteller haben die deutschen Hersteller weit hinter sich gelassen.
Überkapazitäten als große Gefahr
In China entstehen in sehr vielen Technologien große neue Produktionskapazitäten, die die chinesischen Hersteller in extreme Preiskämpfe zwingen, sodass sie außerhalb Chinas neue Absatzmärkte finden müssen, sagt BCG-Berater Burchardt. Das sei für deutsche Unternehmen »extrem gefährlich«.
In der Breite habe Deutschland nach wie vor in vielen Bereichen technologisch führende Industrie, sagt Burchardt. »Sie sieht sich jetzt aber einem Wettbewerber gegenüber, der auch für viele moderne Technologien einen deutlich größeren Heimatmarkt hat, auf insgesamt niedrigerem Produktionskostenniveau produzieren kann und offensichtlich geringerem Kapitalmarkt- und Renditedruck ausgesetzt scheint.«
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieser Meldung hieß es, die deutschen Exporte sind um 1,7 Prozent auf 1,65 Billionen Euro gesunken. Laut der Nachrichtenagentur dpa war dies ein Tippfehler, sie hat die Zahl auf 1,55 Billionen korrigiert. Wir haben die Stelle entsprechend geändert.