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EZB verkündet neue Inflationsstrategie – und räumt indirekt Versäumnisse ein

Es klingt wie Gehirnfutter für Finanzmarkt-Nerds, hat aber praktisch Auswirkungen für alle Europäer: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre geldpolitische Strategie nachjustiert. Ergebnis: Die Notenbank verspricht, künftig entschlossen zu reagieren – egal ob die Inflation stärker nach oben oder unten von ihrem mittelfristigen Ziel von zwei Prozent abweicht.

An ihrem Inflationsziel von zwei Prozent hält die EZB fest. »Um die Symmetrie des Inflationsziels zu wahren, ist es wichtig, auf starke, dauerhafte Abweichungen der Inflationsrate vom Zielwert in beide Richtungen mit angemessen kraftvollen oder lang anhaltenden geldpolitischen Maßnahmen zu reagieren«, erläuterte die Europäische Zentralbank zum Ergebnis ihres Strategiechecks. Dieses Vorgehen soll dazu beitragen, dass die Inflationserwartungen nicht aus dem Ruder laufen. Zugleich soll verhindert werden, dass sich Abweichungen vom Inflationsziel verfestigen.

»Ich freue mich, Ihnen mitzuteilen, dass der EZB-Rat die aktualisierte geldpolitische Strategie der EZB in seiner vergangenen Sitzung verabschiedet hat«, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde: »Die Überprüfung war eine wertvolle Gelegenheit, unsere Denkmuster zu hinterfragen, unser geldpolitisches Instrumentarium zu prüfen und unsere Strategie nachzujustieren.« Die EZB verfüge nun über »eine noch solidere Grundlage«, um in einem zunehmend unsicheren Umfeld geldpolitisch zu agieren.

Mit ihrer neuen Strategie räumt die EZB indirekt ein, auf die Inflation ab Herbst 2021 zu spät reagiert zu haben. Damals hatte sie schon einmal ihre Strategie überarbeitet, wie sie es alle fünf Jahre tut. Sie hatte sich aber vor allem auf jene Risiken konzentriert, die sich aus dauerhaft zu niedrigen Inflationsraten ergeben – die aufziehende Teuerung hatte sie dagegen völlig unterschätzt.

EZB verweist auf höhere Komplexität in der Geldpolitik

Nun deutet die EZB mit ihrer erneuerten Strategie an, künftig schneller als bisher die Leitzinsen zu erhöhen oder senken, wenn es ihr notwendig erscheint; von der Höhe der Leitzinsen hängt ab, zu welchen Konditionen Kredite an Unternehmen, Immobilienkäufer, Hausbauer oder gewöhnliche Konsumenten verleihen.

Sämtliche geldpolitischen Instrumente, über die der EZB-Rat zurzeit verfügt, bleiben auch künftig erhalten. Das sind neben Leitzinsveränderungen vor allem Käufe von Staatsanleihen, um deren Zinsen zu drücken. Das erleichtert es Regierungen, neue Schulöden aufzunehmen – ein einerseits für Zentralbanken normaler, aber vor allem in Deutschland hochumstrittener Vorgang, da die EZB keine direkte Staatsfinanzierung betreiben darf. Der Einsatz dieser Instrumente soll auch weiterhin stets umfassend auf Verhältnismäßigkeit überprüft werden: »Durch eine ausreichende Flexibilität bei der Wahl, Ausgestaltung und Umsetzung der Instrumente wird es möglich sein, agil auf Veränderungen im Inflationsumfeld zu reagieren.«

Die EZB räumt zugleich ein, dass Geldpolitik künftig volatiler werden dürfte. »Anhaltende strukturelle Veränderungen im Zusammenhang mit Faktoren wie Geopolitik, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Demografie, Bedrohung der ökologischen Nachhaltigkeit sowie Veränderungen im globalen Finanzsystem deuten darauf hin, dass das Inflationsumfeld unsicher bleibt und möglicherweise volatiler wird. Die Abweichungen vom Inflationsziel könnten in beide Richtungen größer werden, was die Durchführung der Geldpolitik komplexer macht«, hieß es.

Der EZB-Rat berücksichtigt laut der Notenbank bei seinen geldpolitischen Beschlüssen nicht nur die wahrscheinlichste Entwicklung der Inflation und der Wirtschaft, sondern auch das Risikoumfeld und die herrschende Unsicherheit – unter anderem durch die angemessene Nutzung von Szenarien und Sensitivitätsanalysen. Lagarde hatte bereits bei früherer Gelegenheit betont, angesichts stärker schwankender Inflationsraten und größerer wirtschaftlicher Unsicherheiten müsse die EZB künftig in der Geldpolitik flexibler agieren. Die nächste Strategiebewertung ist laut EZB 2030 zu erwarten.

Nicht durchringen konnte sich die EZB dazu, wie in den USA sogenannte »Dot Plots« einzuführen. Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) veröffentlicht regelmäßig Zinsprognosen ihrer Führungsmitglieder in einem anonymisierten Punktdiagramm, im Fachjargon »Dot Plot« genannt. Das erhöht die Transparenz über die Debatte im Zentralbankrat. Andererseits: Würde für alle sichtbar, welcher Zentralbankrat welche Ansichten hat oder Ziele verfolgt, könnte die Unabhängigkeit des EZB-Rats leiden und die Politik versucht sein, stärker Einfluss auf einzelne Räte zu nehmen.